12.01.2022

„Dreht, was das Zeug hält.“: Hannes Jaenicke im Interview von Macromedia Studierenden

Der Schauspieler Hannes Jaenicke setzt sich seit seiner Jugend für die Umwelt ein. Im Auftrag des ZDF produziert er die preisgekrönte Dokumentarfilm-Serie „Hannes Jaenicke: Im Einsatz für …“. Jede Episode ist einer bedrohten Tierart gewidmet, sie informiert und sensibilisiert für Missstände und zeigt Unterstützungsmöglichkeiten auf.

Jaenicke nutzt in seinen Filmen regelmäßig Drohnentechnologie, um sich den Tieren zu nähern – und mitunter auch kriminelle Praktiken von Menschen aufzudecken. Studierende der Hochschule Macromedia konnten ihn als Testimonial für ein ausführliches Interview gewinnen, das sie im Rahmen eines einsemestrigen Praxisprojekt mit dem chinesischen Weltmarktführer für zivile Drohnentechnologie DJI führten. In ihrem Kommunikationskonzept rücken sie den ästhetischen und erzählerischen Nutzen von Drohnenaufnahmen insbesondere für Dokumentarfilmer ins Zentrum.

Auch der Leiter des interdisziplinären Projektes, Prof. Dr. Martin Jastorff, und Prof. Dr. Barbara Stelzner, Kommunikationschefin von DJI Europe, beteiligten sich an dem Interview.

Hannes Jaenicke zum Einsatz von Drohnentechnologie in seinen Dokumentarfilmen

BST (Barbara Stelzner): Wie bist Du bei den Dokumentarfilmen aus der Reihe „Hannes Jaenicke im Einsatz für…“ auf Drohnentechnologie gekommen?

HAJ (Hannes Jaenicke): Bei unserem ersten Film in Borneo, 2006, wollten wir die Vernichtung des Regenwalds zeigen. Da gab es noch keine Drohnen, und wir mussten einen Hubschrauber mieten. Der kostete damals 2500 Dollar pro Stunde. Schon allein budgetär sind Drohnen ein Geschenk des Himmels. Für das Geld könnten wir heute zwei bis drei Drohnen kaufen. Darüber hinaus drehen wir oft Dinge, für die man keine Drehgenehmigung bekommt. Das sind aber genau die Sachen, die wir zeigen wollen. Dazu gehört zum Beispiel der Betrieb einer Lachsfarm. Die Betreiber wollen nicht, dass man sieht, wie ihre Massenzucht funktioniert und in welchem Zustand die Lachse sind. Die haben zum Teil gar nicht gemerkt, dass über ihnen eine Drohne flog.

BST: Ihr habt im Zusammenhang mit „Hannes Jaenicke im Einsatz für den Lachs“ Drohnenaufnahmen gemacht, die zeigen, wie gesunde, dahinsiechende und tote Lachse gemeinsam in einem Bassin durcheinander schwimmen. Warum konntet Ihr diese Bilder nicht in der Doku verwenden?

HAJ: Das hat juristische Gründe. Ein Sender darf illegal erworbenes Material nicht ausstrahlen, es sei denn, die Location ist nicht erkennbar. Also wenn wir die Lachsfarm so gedreht hätten, dass kein Mensch herausfinden kann, wo diese Lachsfarm steht, dann hätten wir es ausstrahlen können.

MJA (Martin Jastorff): Wie kommt man als sehr erfolgreicher Schauspieler darauf, Dokumentarfilme zu drehen, und was für ein Kommunikationskonzept haben Sie?

HAJ: Ich war immer großer Doku-Fan und hatte Lust, einmal etwas Eigenes zu produzieren. Ich habe den ersten Film mit Markus Strobel von Tangofilm, meinem Produktionspartner und Kameramann, aus eigener Tasche vorfinanziert. Wir sind 2006 nach Thailand und Borneo geflogen und haben dokumentiert, was mit dem Regenwald und seinen Bewohnern passiert. Dann bin ich mit einem 18-minütigen Trailer anderthalb Jahre von Sender zu Sender gezogen. Wir waren der festen Überzeugung, dass uns der Film aus den Händen gerissen wird. Dem war nicht so. Wir hatten kein Marketingkonzept. Das ZDF unter dem damaligen Programmdirektor Thomas Bellut hatte dann als einziger Sender den Mut, den Film nach einer Schlagershow mit Carmen Nebel um 23.35 Uhr zu zeigen, und die Einschaltquoten waren erstaunlicherweise so gut, dass wir seit 2006 die Reihe ‚Hannes Jaenicke im Einsatz für…’ machen dürfen.

Was ich hier gern anmerken würde ist, dass Streamer und Cable Networks immer mehr Dokus zeigen, z.B. Netflix, Amazon, HBO, Showtime. Ich gehe davon aus, dass der internationale Doku-Boom auch irgendwann nach Deutschland rüberschwappt.

BST: Du hast im Zusammenhang mit „Hannes Jaenicke im Einsatz für den Lachs“ Morddrohungen bekommen.

HAJ: Die kamen von verschlüsselten IP-Adressen, aber wir bekamen auch mehrere Einstweilige Verfügungen, die zum Ziel hatten, die Ausstrahlung dieses Films zu verhindern.
Wir konnten wissenschaftlich nachweisen, dass gezüchteter Lachs nicht nur als Lebensmittel giftig ist, sondern dass die Farmen auch eine katastrophale Umweltzerstörung anrichten, und das ist genau das, was die norwegische Lachsindustrie nicht in den Medien sehen möchte. Die haben sich vielleicht gedacht, jetzt erschrecken wir den Herrn Jaenicke mal kurz. Das nehme ich ehrlich gesagt nicht ernst. Das sind Apparatschiks und Lobbyisten, die an ihrem Laptop sitzen und glauben, ein bisschen Angst und Schrecken verbreiten und mich einschüchtern zu können.

BST: Du entlockst Deinen Interviewpartnern immer sehr charmant Dinge, die aber kontrovers sind. Wie bekommst Du das hin?

HAJ: Zuerst versetze ich mich in die Situation dieser Menschen. Die sehen ja nicht, dass z.B. Lachshaltung ein Verbrechen ist, die sind der festen Überzeugung, wir produzieren Nahrungsmittel für Menschen, die Hunger haben. Ich gehe immer mit Sympathie und Verständnis vor, denn wenn ich sagen würde, das ist ein absoluter Schweinkram, den Ihr hier macht, dann redet kein Mensch mit mir. Wir mogeln uns da auch schon ab und zu ein, aber meistens führen sich diese Menschen dann selbst vor.

BST: Das ist aber auch ein ethisches Problem. Auf der einen Seite gehst Du mit Sympathie an die Sache heran, aber auf der anderen Seite kann ja der Film auch dazu beitragen, dass die Menschen ihr Business verlieren. Wie ist das miteinander zu vereinbaren?

HAJ: Wir lassen grundsätzlich beide Seiten zu Wort kommen, bringen immer Stimme und Gegenstimme zusammen. Das habe ich z.B. auch bei dem Film „…im Einsatz für den Wolf“ gemacht. Ich habe mehrere Schäfer und den Sprecher des Deutschen Jagdverbandes lange und ausführlich interviewt. Die sind natürlich für den Abschuss von Wölfen. Die Gegenstimme war Deutschlands berühmtesten Förster Peter Wohlleben, der sagt, die Idee den Wolfsbestand durch Abschuss zu managen ist absoluter Bullshit. Ich möchte den Zuschauer nicht manipulieren oder bevormunden. Der soll am Ende selbst entscheiden, ob er für oder gegen den Wolfsabschuss ist. Man sollte den Zuschauer nie entmündigen.

MJA: Wie schafft man es, nicht nur die Problematik aufzuzeigen, sondern auch Lösungen anzubieten?

HAJ: Die gibt’s immer. Das Schlimme ist, dass sich auf Facebook und sämtlichen Medien Katastrophen viel besser verkaufen als positive Nachrichten. Das ist eine alte Binsenweisheit. Ich denke, was man schaffen muss ist, dass jeder das Gefühl bekommt, er selbst kann etwas bewegen. Unser Geldbeutel ist eine unfassbar mächtige Waffe. Wenn wir aufhören würden, SUVs zu kaufen, würde die Autoindustrie sofort aufhören, diese zu bauen; solange wir 99-Cent Koteletts beim Discounter kaufen, werden diese auf bestialische Weise produziert. Wir haben als Verbraucher eine unglaubliche Macht, dessen sind wir uns leider zu selten bewusst.

MJA: Welches Konzept haben Sie hinsichtlich der Dramaturgie Ihrer Filme?

HAJ: Wir arbeiten immer nach dem klassischen Prinzip der drei Akte. Ich stelle erstmal das Tier und Thema vor, dann zeige ich den Krisenmodus, warum ist eine Spezies bedroht und stirbt aus. Wir erklären die Fakten: warum ein Nashorn ausgerottet wird, ein Elefant, ein Gorilla, ein Wolf. Der dritte Akt ist grundsätzlich ein positiver Ausblick: was wird gemacht, was kann gemacht werden? Ich glaube, das Schlimmste, was mir machen können, ist Leute hoffnungslos im Fernsehsessel sitzen zu lassen. Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir am Ende unserer Filme immer Aktivisten auftreten lassen, die sich für das Überleben einer Spezies oder eines Habitats einsetzen und Lösungen haben.

BST: „Hannes Jaenicke im Einsatz für den Delfin“ zeigt Tiere in ihrer natürlichen Umgebung. Ihr habt Drohnen benutzt, um diese Tiere aus der Luftperspektive zu zeigen, und Du warst in Begleitung einer Wissenschaftlerin, die bei dem Ergebnis ein richtiges Aha-Erlebnis hatte.

HAJ: Wir wussten nicht, wie neugierig diese Delfine sind. Wir hatten einen Drohnenpiloten, der den Mut hatte, 60 cm über der Wasseroberfläche zu fliegen. Und dann kamen diese Delfine und haben sich erst einmal diese Drohne angeguckt. Da kann man sehr schnell sehen, wer sind die Mutigen, wer ist frech, wer ist ängstlich. Vor allem die Männchen fanden diese Drohne unfassbar spannend. Wir konnten auch zeigen, in welchen Formationen sie schwimmen. Das kann man als Taucher nur erahnen, aus der Luft sieht man das sehr gut. Dafür war die Drohne natürlich ein Geschenk.

BST: Ihr habt auch gezeigt, wie die Tiere miteinander umgehen, dass sie sich auch anfassen.

HAJ: Es gab Dinge, die wir erst durch die Drohne entdeckt haben. Ein Hubschauer verscheucht jedes Tier. Der macht einen unglaublichen Radau und Du könntest die Wasseroberfläche nicht so drehen, weil die Rotoren alles aufwirbeln. Diese unfassbar klaren Aufnahmen kriegst Du nur mit einer Drohne.

STU (Studierende): Inwieweit ist der Beitrag von Wissenschaftlern wichtig für Sie?

HAJ: Ich mache keinen Film ohne Wissenschaftler, gerade weil wir Laien sind. Was mich am meisten ärgert ist, dass wir seit 40, 50 Jahren unglaublich viel über die Zerstörung der Umwelt und das Artensterben wissen, aber die Politik absolut Null reagiert hat. Sie hat in dem Moment reagiert, wo das Problem Covid-19 hieß.

Wir haben eine fantastische Wissenschaft in jedem Bereich, aber sie wird nicht umgesetzt in ein verantwortungsvolles Konsumverhalten oder in eine intelligente Politik. Das ist einer der Gründe, warum ich diese Filme mache.

STU (Studierende): Was sind die Reaktionen auf Ihre Filme?

HJA: Es gibt Leute, die finden super, was wir machen, und es gibt Leute, die aus sehr durchschaubaren Gründen vehement dagegen sind. Aber im Großen und Ganzen ist der Zuspruch absolut ermutigend.

Es ist erstaunlich, was eine kleine deutsche Doku, die im niedrigen sechsstelligen Bereich budgetiert ist, bewegen kann, und das ist auch eine Ermutigung an Euch alle: Drehen ist unkompliziert und preiswert geworden. Du kannst mit dem Handy drehen, Drohnen sparen unfassbar Geld und eröffnen unzählige Möglichkeiten. Ihr habt Abspiel-Plattformen, die gab es früher nicht: YouTube, Facebook, TikTok, Instagram.

Meine Ermutigung ist: schreibt ein Konzept, greift Euch eine Kamera, dreht was das Zeug hält, was Euch in den Sinn kommt, was Ihr erzählen und zeigen wollt. Es macht riesigen Spaß.