Wenn es um Eingewanderte und Geflüchtete geht, berichten die meistgesehenen deutschen Fernsehsender und die großen überregionalen Zeitungen vor allem über Probleme und Risiken. Die Betroffenen selbst bleiben weithin unsichtbar und kommen nur in jedem achten Beitrag zu Wort. Zu diesem Ergebnis kommt der Macromedia-Professor und Medienforscher Dr. Thomas Hestermann in einer aktuellen Medienanalyse für den Mediendienst Integration. Gemeinsam mit Bettina Schausten, stellvertretende ZDF-Chefredakteurin, und Jaafar Abdul-Karim, Mitglied der Chefredaktion der Deutschen Welle, stellte er die Studie am 8. Juli 2020 vor.
Wie berichten Leitmedien über Menschen mit Einwanderungsgeschichte? Welches Bild zeichnen sie von den Chancen und Mühen von Einwanderung? Der Medienforscher Thomas Hestermann ist diesen Fragen in einer Expertise für den Mediendienst Integration nachgegangen.
Um Eingewanderte und Geflüchtete geht es der Studie zufolge besonders häufig (25,2 Prozent), wenn ihnen eine Gewalttat angelastet wird. Wenn sie dagegen selbst Gewaltopfer werden, ist dies nur in 2,9 Prozent der Beiträge Thema. Auch die übrige Berichterstattung, in der es nicht um Gewaltdelikte geht, stellt Risiken (36,4 Prozent), vor allem Rechtsverstöße, Kosten und Überfremdung, und seltener Chancen (15,1 Prozent) in den Vordergrund.
Der Journalismus-Professor Thomas Hestermann vom Hamburger Macromedia Campus untersuchte mit seinem Team die Hauptnachrichten und Boulevardmagazine der acht reichweitenstärksten bundesweiten Fernsehsender sowie von fünf auflagenstarken bundesweiten Tageszeitungen aus vier Kalenderwochen 2019. Die Studie wurde unterstützt von der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen und dem Mediendienst Integration.
„Medien sollen Brücken schlagen und ihrem Publikum Einblick in fremde Lebenswelten schaffen“, fordert Hestermann. „Dieser Verantwortung werden die Redaktionen noch zu wenig gerecht.“ Eingewanderte und Geflüchtete kommen in der Berichterstattung kaum zu Wort (12,3 Prozent), und meist nur als Randfiguren. Erfolgsgeschichten bilden die absolute Ausnahme.
Die Diskussion über Migration wird vor allem von den Parteien bestimmt, deren Stellungnahmen in 29,1 Prozent der 413 untersuchten Fernseh- und Zeitungsbeiträge einfließen. Polizei und Justiz werden in 19,4 Prozent der Beiträge zitiert. Eingewanderte und Geflüchtete haben eine schwache Lobby: Pro Asyl findet in 1,2 Prozent der untersuchten Beiträge Gehör. Die großen christlichen Kirchen und ihre
Hilfswerke spielen medial keine Rolle (0,2 Prozent).
Hestermann stellte die Studie jetzt gemeinsam mit Bettina Schausten, stellvertretende ZDF-Chefredakteurin, und Jaafar Abdul Karim, Mitglied der Chefredaktion der Deutschen Welle, bei einer Pressekonferenz vor. „Redaktionen sollten die eigene Blase verlassen“, fordert Abdul Karim – und angehende Journalistinnen und Journalisten mit Migrationshintergrund sollten sich selbstbewusst präsentieren und nicht entmutigen lassen. Bei seinem ersten Bewerbungsgespräch wurde er noch für eine Servicekraft gehalten, heute erreicht er ein Millionenpublikum.
Das ZDF sei mit Moderatorinnen wie Dunja Hayali bunter geworden, sagt Bettina Schausten, aber: „Wir müssen noch mehr Vielfalt zeigen.“ Dies werde auch vom Publikum zunehmend erwartet.
Zum Download der Studie „Die Unsichtbaren“ von Thomas Hestermann / Mediendienst Integration geht es hier.
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