Für die Ausstellung „How to catch a Nazi“ im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst in München haben Studierende der Hochschule Macromedia im letzten Jahr ein begleitendes Kommunikationskonzept entworfen und umgesetzt. Als Teil dieser Zusammenarbeit hatte die Macromedia die einzigartige Gelegenheit, mit einem Zeitzeugen zu sprechen. Pavel Hoffmanns Schicksal wurde mitunter von dem Naziführer Adolf Eichmann bestimmt, dessen Prozess in der Ausstellung aufbereitet wird. Im Interview spricht er mit uns über seinen Aufklärungsauftrag, seine Deportation in das KZ Theresienstadt und seine Befreiung nach Kriegsende.
Herr Hoffmann, könnten Sie uns das Schicksal Ihrer Familie zur NS-Zeit skizzieren?
Mein Schicksal wurde von drei Naziführern bestimmt. Nach dem Attentat auf Reinhardt Heydrich haben sich die Nationalsozialisten furchtbar gerächt: Alle männlichen Einwohner, eines Dorfes – Lidice – die älter als sechzehn Jahre waren, wurden erschossen, während die Frauen in die Konzentrationslager geschickt wurden. Die Kinder wurden je nach Einstufung (rassisch geeignet oder rassisch ungeeignet) ebenfalls deportiert oder deutschen Familien zugeteilt.
Außerdem wurden 1.200 Repräsentanten der tschechischen und deutschen Kultur und Intelligenz in einem Stadion in Prag erschossen. Zwischen den Erschossenen war auch mein Vater – ein Zahnarzt. Er war der erste Tote in meiner Familie. Drei Monate später wurden meine Großeltern väterlicherseits – sudetendeutsche Juden – nach Auschwitz geschickt und sofort in den Gaskammern ermordet. Mein Großvater hatte sein ganzes Leben die deutsche Bevölkerung in einer sudetendeutschen Stadt behandelt. 1943 wurden meine Mutter, eine 34-jährige lebensbejahende Kinderärztin und ich nach Theresienstadt deportiert, wo sie bereits nach drei Wochen an den Folgen der unmenschlichen Zustände verstarb.
Der größte Mord an meiner Familie geschah 1944: Insgesamt vier Generationen meiner Familie, 40 unschuldige Menschen, der jüngste 2 Jahre und die älteste 80 Jahre alt, wurden damals zusammen mit 440.000 ungarischen Juden unter Adolf Eichmanns Kommando nach Auschwitz deportiert und dort bis auf einen Onkel in Gaskammern ermordet. Somit ist Eichmann der zweite Aktant, der das Schicksal meiner Familie besiegelte. Nachdem ich fast zwei Jahre allein im KZ und Ghetto Theresienstadt auf die Sonderbehandlung gewartet habe und überlebt hatte, ordnete Heinrich Himmler, der dritte
Naziführer, höchstpersönlich im Februar 1945 – nur drei Monate vor Kriegsende eine Deportation von 1.200 jüdischen Häftlingen aus Theresienstadt in die Schweiz an. Als einziger Vollwaise kam ich so am 7. Februar mit diesem Transport nach St. Gallen. Im Juli 1945, zwei Monate nach Kriegsende, kam ich schließlich frei und durfte zurück nach Prag. Von 15.000 jüdischen Kindern, die vor dem Krieg in Prag gelebt haben, kamen inklusive mir
nur 28 Kinder zurück.
Es gab praktisch keine Strategie zum Überleben. In Theresienstadt waren alle Häftlinge bereits lange vor der Deportation für die Vergasung bestimmt. Es war nur die Frage, wann wir ermordet werden.
Wie gestaltete sich Ihr Leben nach der Befreiung aus Theresienstadt? Welche Herausforderungen mussten Sie überwinden, um sich ein neues Leben aufzubauen?
Zum Zeitpunkt der Befreiung war ich sechs Jahre alt, demnach war ich noch nicht wirklich in der Lage, das Erlebte zu verarbeiten. Bis zu meinem Ruhestand habe ich mich kaum mit meinem damaligen Schicksal befasst. Erst dann habe ich angefangen das Schicksal meiner
Familie väterlicherseits zu recherchieren und gleichzeitig mit meiner Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen.
Welche Rolle spielt die Erinnerung an die NS-Zeit in Ihrem Leben heute? Wie gehen Sie mit den Erinnerungen um?
Die ersten 20 Jahre nach dem Holocaust wurde in Europa hauptsächlich geschwiegen. Als ich anfing, mein Schicksal mit der Öffentlichkeit zu teilen, war ich noch überzeugt, dass nach dieser langen Zeit des Schweigens die Notwendigkeit besteht, die Menschen in Europa daran zu erinnern, dass nur aufgrund von Ethnie und Religion ein ganzes Volk ausgelöscht werden sollte.
Nach etwa 10 Jahren meines Auftretens in Deutschland, Österreich, Schweiz und Tschechien als Zeitzeuge habe ich mich mit der jüdischen Geschichte, Israel und hauptsächlich mit dem Antisemitismus befasst. Das hat meine Einstellung vollkommen verändert und seit etwa 20 Jahren trete ich mehr mit der Aufklärung als mit meiner Geschichte auf. Ich versuche heute, meine und die öffentliche Aufmerksamkeit auf die lebenden Juden zu lenken, statt auf die toten. Es ist zwar wichtig, die Erinnerung an die Toten zu bewahren, aber es ist viel wichtiger, gegen jede Form des Antisemitismus vorzugehen.
Warum sind Ausstellungen, die sich mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus und der Jagd nach Kriegsverbrechern befassen, Ihrer Meinung nach wichtig für die heutige Zeit?
Historisch ist diese Ausstellung für Interessierte eine Bereicherung. Man hat eine gute Zusammenfassung des Verbrechens an Juden wie auch eine Übersicht wie man Eichmann gefasst und verurteilt hat.
Auch wenn die Ausstellung allein sicherlich keine gerechte Bestrafung der hunderten Nazifunktionäre schaffen kann, ist sie ein wichtiges Puzzleteil in der Aufklärung.